“Brechts enorme Bedeutung für die zeitgenössische Theaterkultur ist mit dem Konzept des epischen Theaters verbunden. Diese Formulierung gehört nicht nur zur Literatur, sondern drückt das Bestreben des deutschen Theatermachers aus, eine Kunst der Synthese neu zu gestalten, indem er alle literarischen Gattungen miteinander vermischt, durch ein Spiel der Darsteller, die sich zwischen ihrer Figur und die Person des Erzählers schwankt, durch der abstrakten Ausdruckskraft der szenischen Mittel, die eher andeuten als beschreiben, durch der musikalischen Ausdruckskraft der Lieder, die den Sinn der ihnen vorausgehenden erzählerischen Episoden poetisch vertiefen. Zu der Zeit, als Brecht diese stark vom Volkstheater beeinflusste Ästhetik formte, gewann die moderne Theateraufführung für immer eine überzeugende Komplexität und Ausdruckskraft.
“Der gute Mensch von Sezuan” ist einer der berühmtesten Texte Brechts und stellt eine Synthese all seiner künstlerischen und vor allem moralischen Prinzipien dar. In einer von Armut, Korruption, Vulgarität und Wildheit verwüsteten Welt wird eine Prostituierte von den drei reisenden Göttern auserwählt, die sich auf die Suche nach regenerativer Güte machen, um die Welt zu rehabilitieren. Das unbewusste Abenteuer der Frauenfigur Shen Te bildet den Hintergrund für die Brechtische Demonstration, dass der Mensch in der Lage sein muss, einen Weg zur Verwirklichung der Ideale des Guten und der Wahrheit zu finden. Sie muss sich von den Schwellen des Alltags unberührt lassen, auch wenn es erbärmlich ist, um ihre ursprüngliche Güte wiederzuentdecken.
Brecht greift auf dramatische Weise das Problem des Schicksals des Menschen auf, der gezwungen ist, in einer räuberischen und korrupten Gesellschaft zu leben, in der die großen Werte längst nicht mehr existieren. Der Mensch bei Brecht ist keine Abstraktion, egal ob er gut oder schlecht ist. Er zeigt die Tragödie des guten Menschen auf, der in seinen Absichten durch eine böse Gesellschaft zerstört wird. Der Konflikt dieses Stücks, das von einer lebendigen Poesie durchdrungen ist, ist immer offen, und das Publikum ist aufgefordert, seine eigene Moral zu enträtseln. Das Stück mit offenem Ende bleibt somit eine Apologie des Guten, eine Lektion über das Gewissen, die einfach und voller Emotion ist. Brecht sagte in einer seiner Schriften, dass er ein neues Gewissen schaffen wollte, das in der Lage ist, “das falsche Gewissen zu zerstören und das wahre zu etablieren”. Deshalb hat er die Menschen durch sein Theater mit sich selbst konfrontiert. Je einfacher er es machte, desto besser und tiefgründiger war es. Deshalb sind Gleichnis und Allegorie seine eigenen Formen geblieben. Der gute Mensch von Sezuan ist daher ein Gleichnis des Guten in einer vom Bösen vergifteten Welt”. (Anca Bradu)